Bad Berleburg. (bwh) Grüner Starr, Grauer Starr, Makula-Degeneration: Eine Sehbinderung fängt nicht erst bei der akuten Blindheit an. Im Rahmen des Sehbindertentages am 6. Juni möchte die Bezirksgruppe Wittgenstein und Umgebung des Blinden- und Sehbindertenvereins Westfalen e.V. nun auf viele Schwierigkeiten im öffentlichen Raum hinweisen, die in den kommenden Tagen von jedem Bürger wahrgenommen werden können. „Wir möchten auf ein flächendeckendes Problem aufmerksam machen, welches wir nur in der Gemeinschaft lösen können“, so Katrin Spies-Gußmann vom Vorstands der Bezirksgruppe des BSVW. Diese Aufmerksamkeit schaffen rot-weiß gestrickte „Mützen“ für Poller, welche in Bad Berleburg in dieser Woche prominent platziert wurden, etwa am Marktplatz oder auch in der Limburgstraße. Einfach und dennoch gefährliche ist der Hintergrund. Poller auf Gehwegen oder öffentlichen Plätzen passen sich in ihrer Farbe dem Hintergrund gut an. Was für den unbeeinträchtigten Seher kein Problem ist, kann bei Sehbinderten Menschen schnell zu einer Falle werden. „Sehbindert ist man bereits ab einer Sehkraft von 30 Prozent oder 50 Prozent einäugig“, verdeutlicht Spies-Gußmann. Die selbst gestrickten Mützen schaffen Aufmerksamkeit, womit der Verein gezielt alle Menschen ansprechen will. Mit einem QR-Code können alle Interessierten an einem Fotowettbewerb teilnehmen, gleichermaßen gibt es extra für Kinder ein spannendes Geräuscherätsel – mitsamt tollen Preisen.

Stadt plant Studie für Barrierefreiheit

Spaß und Ernsthaftigkeit liegen nah beieinander, weiß Spies-Gußmann: „Dafür notwendige Sensibilität muss wiederkommen, als Gesellschaft müssen wir aufeinander achten“. Unterstützung suchte der Verein bei der Stadt Bad Berleburg – dafür setzt sich nun Wolfgang Grund, Abteilungsleiter Infrastruktur und Erholung, ein. „Es ist erforderlich, für solche Barrieren eine langfristige Sichtbarkeit herzustellen. Unser Anliegen ist es, dies nicht nur auf dem Marktplatz zu schaffen, sondern sukzessive im ganzen Stadtgebiet.“ Im Hinblick auf die anstehende Umgestaltung des Marktplatzes sollen dann auch die grauen und unscheinbaren Poller weichen, die ganz und gar nicht der eigentlichen Vorschrift einer mindestens 45 Zentimeter langen rot-weißen Markierung entsprechen – akute Gefahr bei eingeschränktem Sehen und in der Dämmerung, das weiß auch Wolfgang Grund. Gute Nachricht für eine barrierefreie Stadt überbringt Grund aus der Stadtverwaltung: Eine Studie wurde in Auftrag gegeben, welche die Barrierefreiheit an öffentlichen Plätzen in Bad Berleburg in diesem Jahr analysieren soll – am neugestalteten Goetheplatz finden sich schon entsprechende Leitsysteme, wie man sie auch von Bahnsteigen kennt. Zudem sollen künftige Projekte wie etwa Kreisverkehrplätze selbstverständlich barrierefreie Elemente erhalten. Wolfgang Grund erläutert, dass bei Neubauten im öffentlichen Raum für Fördergelder mittlerweile entsprechende barrierefreien Elemente vorliegen müsssen. Nicky Stöcker, ebenfalls Vorstandsmitglied des BSVW, sieht im Alltag für Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit diverse Gefahren, auf die die Poller-Aktion ebenfalls mit aufmerksam machen soll:

Gefahren sind vermeidbar

Beispielhaft sind Mülltonnen, die auf den genannten Leitsystem stehen, womit Aufenthalte in fremden Städte ungünstige Erfahrungen oder gar zu einem Hilfegesuch führten. „Laden-Aufsteller auf Gehwegen, enge Supermarkt-Regalreihen mit Aufbauten oder herumliegende Roller und Fahrräder sind für uns genau so ein Problem“, sagt Nicky Stöcker. Die Freude im Verein ist groß, dass die Stadt die Thematik auf ihre Agenda geschrieben hat. Lösungen, wie etwa kontrastreiche Gehwege zu Straßen bei Neubauten oder auffällig markierte Hindernisse wie Treppen und Poller, sind meist nicht mit großem Aufwand verbunden. „Für die Betroffenen ist es insbesondere ein emotionales Problem. „In den Situationen, die Nicky Stöcker eben beschrieben hat, fühlt man sich schnell von Blicken verfolgt. Kurzum: Die Leute denken, du bist Besoffen. Wir haben noch nicht das erreicht, was wir gerne hätten.“ Dennoch: Selbsthilfe verändert sich, an Schulen gibt es Aufklärungsveranstaltungen. Daher wirkt auch die Poller-Aktion als Initialzündung für dieses wichtige Thema.

(Foto: B. Weinhold | Stand: 08.06.2021, 16:38)