Erndtebrück/Bad Berleburg/Bad Laasphe. Nachdem das Wittgensteiner Pogrom-Gedenken im vergangenen Jahr corona-bedingt zumeist deutlich kleiner als gewohnt ausfiel, machten die Veranstaltungen am Dienstag klar, dass man in diesem Jahr bei 3-G-Veranstaltungen an die alte Größe anknüpfte.

In Erndtebrück und Bad Laasphe waren jeweils über 100 Menschen, in Bad Berleburg über 50. Und weil in allen drei Kommunen Schulen eingebunden sind, waren überall Jugendliche dabei, in Erndtebrück sogar Kinder – dort hatte der Nachwuchs insgesamt die absolute Mehrheit.

Wie üblich begann das Gedenken morgens in Erndtebrück. Alle Viertklässler der Grundschule sowie 7a und 7b der Erndtebrücker Realschule versammelten sich zunächst in der evangelischen Kirche.

Die Konfis von Pfarrerin Kerstin Grünert aus den Realschul-Reihen ordneten zunächst kurz ein, wie es 1938 zur Pogromnacht gekommen war, in der überall in Deutschland Synagogen geschändet sowie unschuldige Juden drangsaliert und verhaftet wurden. Außerdem hörte man von den Schülern Erinnerungen junger Juden, die durch die damaligen Geschehnisse verängstigt wurden oder mit ihren Altersgenossen nicht mehr zur Schule gehen durften. Und man hörte auch wieder die Namen der zehn Erndtebrücker, die von den Nazis ermordet wurden, darunter die zwölfjährige Ingeborg Simon und ihr zwei Jahre älterer Bruder Heinz. Vor der Gedenktafel für die ehemaligen Erndtebrücker Mitbürger und Mitbürgerinnen legten die Konfis dann noch an der Bergstraße Rosen ab.

In ihrer Ansprache hatte Kerstin Grünert zuvor klargemacht, dass niemand ausgegrenzt werden dürfe. Sie betonte den einen kleinsten Nenner, der uns über alle scheinbaren Grenzen der Sprachen, Heimatländer, Hautfarben und Religionen hinweg verbindet: „Wir sind Menschen. Wir müssen alle atmen, essen, um Energie zu haben, in unseren Adern fließt rotes Blut. Wir sind alle gleich.“
Am Mahnmal im Berlebach für die Juden, die in Berleburg lebten, waren es in der Dunkelheit am frühen Abend Zehntklässler der Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule die die Namen der ehemaligen Mitbürger verlasen.

Unter Federführung von Religions-Lehrerin Ines Weller aus der Arbeitsgruppe „Schule für Toleranz und Zivilcourage“ der Berleburger Hauptschule war der Abend im Religions-, Geschichts- und Musik-Unterricht vorbereitet worden. So hatten sich die Schüler als musikalische Umrahmung für den Abend die Lieder „Dos Kelbl“ und „Hevenu shalom alechem“ ausgesucht, die abgespielt wurden.

Die Ansprache hielt die Berleburger Ortsvorsteherin Ulla Belz, sie wurde dabei ganz deutlich und schlug eine Brücke in die Gegenwart: „Die Menschen in den Konzentrationslagern sind nicht einfach umgekommen, wie man bis heute häufig sagt, sie wurden systematisch ermordet. Sprache ist immer auch Ausdruck einer Geisteshaltung und da gab es am Täterwillen während der Nazi-Zeit keinerlei Zweifel. Und wie steht es um unsere Geisteshaltung und Sprache heute? Wie schmal ist der Grad von Verunglimpfungen im Netz oder schmieriger Hetze an Wänden zu ausgeübter tätlicher Gewalt? Wie sicher sind wir, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt?“

Bezugnehmend auf Hakenkreuze, die in den vergangenen Monaten auf die Lachsbachschule und die Grundschule vor Ort gesprüht worden waren, sagte denn auch Bürgermeister Dirk Terlinden bei seinem Grußwort im Laaspher Haus des Gastes, wo das Wittgensteiner Pogrom-Gedenken an diesem Tag endete: „Die jüngsten Schmierereien von fremdenfeindlichen Symbolen an unseren Schulgebäuden zeigen einmal mehr, einige haben es leider immer noch nicht verstanden.“

Aber auch in Bad Laasphe waren es Schülerinnen und Schüler aus dem Religions-Unterricht von Wolfgang Henkel der Klassen 7a, 7b und 8c vom Gymnasium „Schloss Wittgenstein“, die den Abend mitgestalteten. Sie verlasen diesmal Briefe von Michael und Hedwig Beifus, die der gebürtige Laaspher Jude und seine aus Breidenbach stammende Ehefrau an den gemeinsamen Sohn Rolf schrieben, der im Sommer 1938 nach Palästina ausgewandert war, und in denen etwa der Gefängnis-Aufenthalt des Vaters nach der Pogromnacht aus Angst vor einer Zensur als Reise bezeichnet wurde.

In der Lahnstadt werden traditionell alle Namen der Laaspher Opfer des Nazi-Terrors verlesen, die als Juden, Zigeuner oder im systematischen Kranken-Mord umgebracht wurden. Erstmals waren jetzt auch die Namen der jüdischen Familie Burg aus Banfe zu hören, die Ende April 1942 ihre Heimat verlassen musste. Dazu erläuterte Rainer Becker als Vorsitzender des Laaspher Christlich-Jüdischen Freundeskreises: „Zum 80. Jahrestag der Deportation nach Zamość soll eine Erinnerungstafel in der Banfer Ortsmitte vor Augen führen, wohin Hass, Intoleranz, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit führen können. Heute werden auch die Namen der Ermordeten der Banfer Familie Burg verlesen.“

Für die Musik sorgten in Bad Laasphe Harald Schmidt am Klavier und Otto Dreher mit dem Flügelhorn, zum Abschluss sprach der pensionierte Pfarrer Christoph Kunze auf Deutsch das Kaddisch, eines der wichtigsten jüdischen Gebete, der Laaspher Gemeindepfarrer Steffen Post rezitierte es auf Hebräisch.

Die Ansprachen und Grußworte von Ulla Belz, Dirk Terlinden und Rainer Becker in ihrem kompletten Wortlaut sowie mehr Fotos findet man auf der Homepage des Evangelischen Kirchenkreises Wittgenstein.

Zehntklässler der Berleburger Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule sorgten auch in diesem Jahr dafür, dass die Namen der Berleburger Juden, die Opfer der Nazis wurden, nochmal am Berlebach zu hören waren.
Am Ende werden noch vier Lichter brennen, nur so viele der vom Nazi-Terror betroffenen Laaspher werden die dunkelsten deutsche Jahre überleben. Das ist einer der traurigsten, aber auch einer der stärksten Momente des Laaspher Pogrom-Gedenkens, das auch diesmal Laaspher Gymnasiasten vom Schloss Wittgenstein dankenswerterweise mitgestalteten.

(Fotos: privat | Stand: 14.11.2021, 7:11 Uhr)